#Emanzipation #Gewalt #Queer-Feminismus #Sexualität

Resonanzräume schaffen

von Nello Fragner

Als Sina Holst mich fragte, ob ich zum Sammelband Wege zum Nein einen Text beitragen wollte, saßen wir einander gegenüber und hatten Blickkontakt. Es berührte mich zu hören, dass mein Denken Relevanz für jemanden hat und Sina einen Text von mir in das Buch mit aufnehmen wollte. Umso mehr berührte es mich, weil wir über das Thema sexualisierte Gewalt sprachen. In diesem Kontext wird betroffenen Sprecher*innen so oft die Stimme und die Glaubwürdigkeit entzogen. Ich erzählte von meinem Betroffen-Sein und wurde dazu aufgefordert, mehr und öffentlicher dazu zu schreiben.

Wer gibt uns das Gefühl, dass das, was wir tun, sinnvoll ist?

– fragen Johanna Montanari und Sina Holst auf der ersten Seite von Wege zum Nein. In den Monaten, in denen ich an meinem eigenen Text schrieb – ein Erfahrungsbericht mit Fragmenten aus Analysen und Versuchen, die eigene Erfahrung in größere Machtstrukturen einzubinden – kämpfte ich mit dem Gefühl, dass meine Worte sinnlos seien. Oder unpräzise. Oder zu verengt auf meine persönliche Sichtweise, unverständlich für andere. Gedanken, die ich an dem einen Abend voller Enthusiasmus niederschrieb, kamen mir am nächsten Morgen schon schal, gewagt oder verworren vor.

Ich denke, diese Aspekte sind Teil von allen Schreibprozessen, in denen es darum geht, Realitäten in Worte zu fassen, sich suchend Satz um Satz zu bewegen, zwischen Kontrollieren und Fließen abzuwägen. Maßstäbe zu erproben, an denen das Geschriebene gemessen wird, kann einen Text isoliert erscheinen lassen, wenn die Thematik des Textes gegen gesellschaftlich dominante Erzählungen einsteht. Was, wenn die Realität des Textes ein Gespenst ist? Wenn die Realität weder im eigenen Empfinden, noch in einer (medialen, zwischenmenschlichen, juristischen) Öffentlichkeit sein darf? Wie sieht die Wortsuche aus für ein Erleben, das mit Verunsicherung so eng verwoben ist, und es stellenweise keine Worte außerhalb der Unsicherheit zu geben scheint?

Wege zum Nein ist für mich eine beginnende Bewegung von Worten, die hin- und her-, zurück- und im Kreis fließen dürfen. Es stellt einen Raum dar, in dem Erzählungen, Gedanken und Fragen rund um sexualisierte Gewalt existieren, und das ist etwas Außergewöhnliches. Die Beiträge haben nicht diejenigen als Adressat*innen imaginiert, von denen wir annehmen müssen, dass sie unseren Worten keinen Glauben schenken werden. Wiewohl wir uns an zynischen, empathielosen, rassistischen, perfiden, misogynen Diskursen entlangarbeiten, bilden diese nicht den Rahmen der Entwürfe im Buch.

Momenthafte Selbstbestimmung sprachlich fassen – die Sicherheit, die eigene Realität erfahren zu haben – das Verlangen, dieser Realität Aufmerksamkeit zu schenken – dafür kämpfen, dass gefahrvolle und verletzende Erlebnisse aus der Normalität herausgeangelt und transformiert werden – die Frage nach Veränderungsmöglichkeiten und Forderungen an den Status Quo stellen: zwischen diesen Eckpunkten bauen die Beiträge an Visionen.

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Die Beiträge in Wege zum Nein beschäftigen sich mit der Frage nach Konsens, mit den Verknüpfungen von Rassismus, staatlicher Repression und Rape Culture, den medialen Bildern zu Vergewaltigung und der juristischen Reform von 2016 in Deutschland, welche Betroffenen von sexualisierter Gewalt nach wie vor die Möglichkeit versagt, als eigenbestimmtes Subjekt zu agieren.

In ihrem Beitrag Der Wille zum Nein erkundet Dania Alasti, welche Vorstellungen von Gewalt, Sexualität und Willensäußerung dem Strafrecht zugrunde liegen, und zeichnet nach, wie es genau diese Vorstellungen so gut wie unmöglich machen, sexualisierte Gewalt als Straftat zu ahnden. Mit der Reform 2016 geschieht eine langsame Änderung dahingehend, die Willensäußerung der betroffenen Person vor Gericht ernst zu nehmen, anstatt wie bisher so oft und so erschreckend praktiziert, aus der Beweisführung auszublenden.

Es ist ein bedeutsamer Schritt, dass es nun für das Sexualstrafrecht ausreichen soll, dass eine Person ihren entgegenstehenden Willen zum Ausdruck gebracht hat. Damit ist den Betroffenen sexueller Gewalt eine Subjektposition ermöglicht, die in anderen Bereichen als selbstverständlich galt. Dass dem Willen der Betroffenen sexueller Gewalt bisher kein so großes Gewicht beigemessen wurde, entstammt der patriarchalen Vorstellung, dass die Betroffenen von sexueller Gewalt ausschließlich Frauen seien.” (Dania Alasti, Der Wille zum Nein, S. 149f)

Damit bezeichnet Alasti ein Rechtssystem, das sich aus gesellschaftlichen Vorstellungen ebenso speist, wie es diese reproduziert – und damit keinesfalls außerhalb diskursiver Auseinandersetzungen steht.

In einem weiteren Beitrag im Buch – Kein Käfig, keine Grenze – formuliert Johanna Montanari Bedingungen von Beziehungen, in denen sich die Beteiligten in ihren unterschiedlichen Bedürfnissen und Ansichten wertschätzen können. Es ist ein Gegenentwurf zu den herrschenden Bildern von (heterosexuellen, romantischen) Beziehungen, in welchen ein Nein als Zurückweisung, als Peinlichkeit, als etwas verletzendes auftritt – und somit vielleicht gar nicht erst geäußert wird. Montanari schreibt:

“Ein Nein nicht als Grenze zu sehen, sondern als etwas, das unvorhergesehene Wege aufzeigt, ermöglicht es, als Verbündete gemeinsame Visionen zu leben. Teil davon, diese Wege zu gehen, ist, sich mit der eigenen Angst vor Zurückweisung zu konfrontieren, ein Nein als Einladung zur Präzision wertzuschätzen und Verantwortung für das eigene Wollen zu übernehmen (…) Die Herausforderung ist, immer wieder neu das eigene Wollen zu spüren, immer wieder neu die attraktive Möglichkeit zu finden, zu der ich Ja sagen will, immer wieder neu mir dich vorzustellen, immer wieder neu das Unvorhergesehene zu umarmen.” (S. 46)

Aus diesen beiden Ausschnitten wird sichtbar, wie breit die Auseinandersetzungen in den Beiträgen gestreut sind, und doch kreisen wir immer wieder um die Frage, wie selbstbestimmtes Handeln, Sprechen, Begehren, In-Kontakt-Gehen beschaffen sein kann.
Nicht alle teilen die gleiche Einschätzung zu patriarchalen Strukturen, nicht alle sprechen aus einer gleichen Betroffenheit von sexistischer Gewalt. Das Buch ist bestimmt von weißen, cis-geschlechtlichen Perspektiven, und verbleibt damit in einigen der vorhandenen Dominanzlinien. Gleichzeitig finden sich Reflexionen über weiße Deutungshoheit, über die besondere Betroffenheit von Trans-Personen durch sexualisierte Gewalt und über Be_hinderung.

Wege zum Nein stellt für mich einen Anfang einer möglichen Praxis dar, mit Geduld und Wertschätzung nach tief gehenden Verletzungen und stark spürbaren Ressourcen zu fragen, und sich auf die Suche nach den Bedingungen dieser Ressourcen und Verletzungen zu begeben. Die Vielschichtigkeit, sich respekt- und lustvolles Miteinander vorzustellen – in zwischenmenschlichen Beziehungen, auf rechtlicher Ebene, in sprachlichen und visuellen Bildern – findet sich in den Beiträgen als eine (erweiterbare) Sammlung von Gedanken wieder. Die Einladung von Sina Holst und Johanna Montanari dazu lautet:

“Wir wünschen uns, dass Du dieses Buch als Ressource benutzen kannst. Wir laden Dich ein, Dein eigenes Denken ernst zu nehmen und mit unseren Texten in Interaktion zu gehen. Wir laden Dich ein, mit diesem Buch zu machen, was Du willst.”

Der Sammelband Wege zum Nein – Emanzipative Sexualitäten und queer-feministische Visionen. Beiträge für eine radikale Debatte nach der Sexualstrafrechtsreform in Deutschland 2016. Hg. von Sina Holst und Johanna Montanari, erschien 2017 bei edition Assemblage.

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